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Akustik-Experten sind von der Rückkehr ins Büro überzeugt – es wird aber eine andere Bedeutung haben

Interview mit dem Fraunhofer IBP: Steigerung der Lebensqualität durch optimierte Akustik

Die dritte Ausgabe der acoustex, der Fachmesse für akustische Lösungen, öffnet vom 24. bis 25. November 2021 wieder ihre Türen am Messestandort Dortmund und stellt ein abwechslungsreiches Portfolio von Ausstellern sowie geballte akustische Fachkompetenz in den Mittelpunkt. Im Vorfeld sprach Bettina Krause für die acoustex 2021 mit Akustik-Expertin Noemi Martin vom Fraunhofer-Institut für Bauphysik IBP, an dem sie die interdisziplinäre Arbeitsgruppe Psychoakustik und kognitive Ergonomie leitet.

Welche neuen Erkenntnisse hat das Fraunhofer-Institut für Bauphysik IBP zur akustischen Gestaltung von Lebens- und Arbeitsräumen und welche Einflüsse hat das Pandemie-Geschehen auf die Raumgestaltung? Antworten darauf weiß Noemi Martin. Sie studierte Kognitionswissenschaft an der Universität Tübingen und arbeitet seit 2013 am Fraunhofer-Institut für Bauphysik IBP.

Frau Martin, welches ist das größte Thema beim „Silent Working“?

Seitdem viele Unternehmen in den letzten Jahren ihre Büros zu Open Space Flächen umgestaltet haben, ist das ein relevantes Thema für uns. Statt in Einzel- oder Zweierbüros sitzen die MitarbeiterInnen nun auf großen, offenen Flächen mit 30 bis 40 Personen. Man hat relativ schnell gemerkt, dass das zu einer problematischen Akustik führen kann, da diese in der Planung von Bauherren und Architekten häufig noch nicht ausreichend mitberücksichtigt wird.

Welche Problematik beobachten Sie noch?

Es kommt auch vor, dass Räume zu leise geplant werden mit zu vielen absorbierenden Materialien. Hier ist das Problem, dass man nicht nur die Kollegin oder den Kollegen neben sich hört, sondern auch die am anderen Ende des Raumes, und das kann ebenfalls störend wirken. Hier kann beispielsweise das Soundmasking eine Lösung bieten - dabei werden störende Geräusche durch angenehme, gleichmäßige Geräusche überdeckt.

Was passiert, wenn ein Büro akustisch schlecht geplant ist?

Es können psychische Belastungen und Stress bis hin zum Tinnitus auftreten, wenn die MitarbeiterInnen durch akustische Störungen permanent bei der Arbeit unterbrochen werden und sich schlechter konzentrieren können. Dafür möchten wir ein Bewusstsein schaffen. Und wir beschäftigen uns auch mit Regelungen für den Arbeitsschutz. Zum Teil lassen sich die Probleme über akustisch wirksame Produkte lösen. Teilweise ist es aber auch eine Frage der Arbeitsorganisation. Im Activity Based Office etwa hat jeder einen Arbeitsplatz, kann aber je nach Aufgabe zum Telefonieren in eine Telefonbox oder für eine Videokonferenz in den Konferenzraum gehen. Diese flexiblen räumlichen Lösungen, bei denen sich MitarbeiterInnen bei Bedarf zurückziehen, mobil oder an akustisch hochwertig ausgestatteten Plätzen arbeiten können, sind aus akustischer Sicht am besten.

Sie sagen, akustische Maßnahmen in Büros amortisieren sich schnell für den Arbeitgeber. Wie ist das zu verstehen?

Wir haben ein Rechen-Tool entwickelt, mit dem wir beispielsweise errechnen können, was es einen Arbeitgeber aus Baden-Württemberg in der Pharmaindustrie kostet, wenn 30 Mitarbeiter monatlich je 30 Minuten durch schlechte Raumakustik bei der Arbeit unterbrochen werden. Würde dieses Geld stattdessen in Akustik-Maßnahmen investiert, amortisiert sich die Investition bereits innerhalb kurzer Zeit. Ein Amortisationszeitraum von ein bis drei Jahren ist realistisch.

Wie wird sich die Büro-Situation durch Corona verändern?

Wir gehen davon aus, dass es die Rückkehr ins Büro geben wird, das Büro dann aber wahrscheinlich eine andere Bedeutung haben wird. Soziale Kontakte und die interaktive Arbeit werden dort mehr im Vordergrund stehen. Dafür müssen auch die Büro Layouts angepasst werden, um Tätigkeiten zu ermöglichen, die kooperativ vor Ort stattfinden. Zudem vermuten wir, dass sich die digitale Kommunikation auch innerhalb des Büros deutlich verstärken wird, was wiederum akustisch problematisch sein kann.

Welches Ziel verfolgen Sie mit Ihrer „Büro-Initiative“?

Diese Initiative haben wir 2015 gegründet. Mit diesem Netzwerk bringen wir Hersteller von (Akustik) Produkten, Planer, Architekten, große Bürobetreiber und Normungsgremien zusammen. Unser Ziel ist es, ein Büro oder eine Büroausstattung der Zukunft zu entwickeln, die beim Menschen für mehr Gesundheit und mehr Wohlbefinden sorgen. Wir veranstalten regelmäßig Partnertreffen und teilen gemeinsame Entwicklungsideen mit den Partnern.

Welche Probleme bringen akustische Belastungen mit sich?

Wir können belegen, dass es weniger die technischen Geräusche wie Druckergeräusche oder Telefonklingeln sind, die als störend empfunden werden. Vielmehr ist die Sprachverständlichkeit das Kernproblem. Das heißt, wenn Kollegen telefonieren oder etwas besprechen, ist dies besonders störend, weil Sprache von unserem Gehirn besonders gut und vorrangig verarbeitet wird und damit Aufmerksamkeit bindet. Unser Gehirn ist spezialisiert darauf, Sprache zu verarbeiten und wir nehmen sehr viel unterbewusst wahr, was uns die Ressourcen dafür raubt, was wir eigentlich tun möchten. Das äußert sich in schlechter Leistungsfähigkeit, es löst Stress aus, führt zu Erschöpfung oder Kopfschmerzen. Dauerhafte akustische Störungen und damit zusammenhängende Unterbrechungen bei der Arbeit beeinträchtigen früher oder später jeden, auch wenn es vielen vielleicht gar nicht bewusst ist.

Das Fraunhofer IBP wird auch auf der acoustex Messe vertreten sein?

Ja, mein Kollege Benjamin Müller, der auch bei mir in der Arbeitsgruppe als Psychoakustiker arbeitet, wird dort einen Vortrag zur Thema Büro und Akustik halten.

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